Mit wachsender Sorge beobachtet Landrätin Peggy Greiser die Diskussionen um eine etwaige Änderung des Infektionsschutzgesetzes und eine möglicherweise damit einhergehende bundesweite Vereinheitlichung eines inzidenzbasierten Corona-Lockdowns.
„Ich halte diese Überlegungen einer Corona-Notbremse in der jetzigen Form für wenig zielführend, weil sie rein auf Inzidenzzahlen basiert“, betont die Kreischefin und verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es nach wie vor in Deutschland keine Basis der Gesamttests für Regionen ermittelt wird, weil Labore bei Negativtests keine Angaben zum Wohnort der getesteten Person angeben müssen. „Jeder Landkreis, der viel testet, hat automatisch auch eine hohe Inzidenz, deswegen wird es endlich Zeit, dass wir in Deutschland eine Positivquote ermitteln, also die Anzahl der insgesamt in einer Region getesteten Menschen.“ Dazu führt Greiser auch Zahlen vor Augen: „Wir haben im Landkreis mehr als 15.000 Menschen über unsere Schnelltestangebote getestet, rund 1,7 Prozent davon waren positiv. Zusammen mit den Tests unseres Gesundheitsamtes im März ergibt sich eine Positivquote in Höhe von rund 6 Prozent der Gesamttests. Bundesweit lag der Positivanteil der Testungen laut RKI Anfang April bei mehr als 11 Prozent. Wir müssen also aufpassen, dass wir nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, indem wir auf nicht valider Inzidenzzahlen-Basis Grundrechtseingriffe vornehmen“, so Greiser.
Die Situation sei weiterhin ernst und fragil, aber zumindest mit entsprechender Test- und Maßnahme-Strategie aktuell im Landkreis beherrschbar, das gelte aktuell auch für die Lage in den Kliniken. Und ich bin mir auch sicher, dass wir bei neuerlichen Schulschließungen oder Ausgangssperren, wie sie jetzt wahrscheinlich vom Bund gefordert werden, weiterhin bei einer hohen Inzidenzzahl verharren werden, bis der Großteil der Bevölkerung geimpft ist, weil wir einfach viel testen. „Ich bin der Meinung, es wäre hilfreicher, dass die Bundesregierung eine Strategie entwickelt, wie unsere Hausärzte kurzfristig mit ausreichendem Impfstoff ausgestattet werden können, als ständig reflexartig Lockdown-Forderungen aufzumachen. „Ausgangssperren und Schulschließungen sind mit Sicherheit nicht die Lösung, das zeigen unsere Erfahrungswerte der zurückliegenden Wochen und Monate eindrucksvoll“, sagt Greiser. Verschärfende Maßnahmen müssen der Bevölkerung gegenüber auch beleg- und vermittelbar sein.
Die mobilen Altersgruppen zwischen 30 und 70 Jahren, die zum Großteil im Arbeitsleben stehen, zeichneten gegenwärtig für rund 62 Prozent der Positivfälle im Landkreis verantwortlich. Insofern sollten sinnstiftende und verbindliche Regelungen notwendigerweise auch am Arbeitsplatz stattfinden. „Es gibt viele Unternehmen, die sich vorbildlich verhalten, die Arbeitsschutz groß schreiben und ihre Mitarbeiter regelmäßig testen lassen. Das haben unsere Testungen in Unternehmen gezeigt. Es gibt aber auch Betriebe, die ihre Mitarbeiter nicht mal testen lassen, auch wenn es ein offensichtliches Infektionsgeschehen in der Firma gibt“, sagt Greiser. Hier brauche es verpflichtende Regelungen. „Ein frühzeitiges Unterbrechen der Infektionsketten kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten mitspielen.“
Bundesweite Testpflicht in Schulen und Kindertagesstätten empfehlenswert
Damit jedoch auch in Zukunft weitere und nicht minder entscheidende Parameter wie etwa die Auslastung der Bettenkapazitäten und Intensiv-Kapazitäten in den Kliniken oder die Verteilung des Infektionsgeschehens auf unterschiedliche Altersgruppen Eingang finden können in eine realistische Bewertung des Infektionsgeschehens auf lokaler Ebene, benötigen die Landkreise auch weiterhin umfangreiche Handlungsspielräume bei der Ausgestaltung ihres Verordnungsrahmens. „Wenn wirklich etwas zu einer bundesweiten Pandemie-Bewältigung getan werden soll, dann wäre die Einführung einer Testpflicht an allen Schulen und in allen Einrichtungen der Kinderbetreuung ein wichtiges Zeichen und ein lohnenswerter Schritt in die richtige Richtung“, unterstreicht Greiser. Als Begründung dafür dient aus ihrer Sicht nicht zuletzt die flächendeckend rasant voranschreitende Ausbreitung diverser Virus-Mutationen im gesamten Bundesgebiet. „Bereits seit mehreren Wochen wird bei sämtlichen Stichproben bei uns im Landkreis durchgängig B1.1.7 nachgewiesen. Weit früher als in andere Regionen hatten wir die Mutationen bei uns im Landkreis sowie weitere Thüringer Landkreise auch, andere Bundesländer sehen sich erst seit Kurzem damit konfrontiert“, sagt Greiser, die darin neben einer Erklärung für die anhaltend hohen Inzidenzen im Freistaat auch einen Hinweis darauf sieht, dass ein Umdenken in der Politik und bei Teilen der Bevölkerung gleichermaßen stattfinden muss. „Wir müssen weiter testen, testen, testen. Und Bund und Land müssen dafür sorgen, dass wir beim Impfen noch mehr Fahrt aufnehmen und die Bevölkerung muss die überschaubare Zeit durchhalten und Kontakte reduzieren, bis wir eine entsprechende Impfquote erreicht haben. Auf dieser Basis müssen tragfähige Strategien beispielsweise in Form von Modellprojekten entwickelt werden, um in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens für die dringend erforderliche Entlastung zu sorgen“, sagt Greiser.
Dass dies weniger mit Metropoldenken als durch ein vernünftiges Maß an Flexibilität auf Landkreisebene gelingen kann, davon ist die Landrätin überzeugt. „Wir müssen insbesondere für Einzelhändler und Gastronomen, aber auch im Freizeitbereich klare und verlässliche Perspektiven schaffen. Öffnungsszenarien kann es jedoch nur geben, wenn gleichzeitig auch die Schulen und Kitas geöffnet bleiben. Entgegen einer starren und allein auf die Inzidenzzahlen abgestellten gesetzlichen Regelung ist eine dynamische Bewertung des Infektionsgeschehens vor Ort dabei auch zukünftig unabdingbar“, so Greiser.